13. Die Feuerwehr als Kulturträger
Wenn wir von Kultur im ländlichen Bereich sprechen, dann ist dieses Vereinskultur, Traditionspflege, ehrenamtliches Engagement usw. Die Musik- und Gesangvereine, Schützenvereine und -gilden, Trachtengruppen, aber auch die Heimatvereine und -museen, die Brauchtumspflege bis hin zum Denkmalschutz haben ihren festen Platz in der ländlichen Kultur. Sie besitzen ein eigenständiges und, verglichen mit der Kultur in größeren Städten, unverwechselbares Angebot. In den „Empfehlungen zur Kulturarbeit der Kreise“ des Deutschen Landkreistages aus dem Jahre 1979 heißt es: „Die Kulturpolitik in den Landkreisen ist von besonderen Faktoren und Maßstäben geprägt. Anders als in der Stadt ist ihre Ausgestaltung nicht so sehr auf Kulturkonsum ausgerichtet. Kultur im ländlichen Bereich wird von jeher von den Bürgern aktiv mitgestaltet; persönliche Initiative und persönliche Aktivitäten sind ihre Grundelemente.“
Typische Kultur (Dorf- und Feuerwehrfest, Kindergilde, Vogelschießen, Ringreiten etc.) im ländlichen Raum hat einen hohen Stellenwert, Tradition und einen wichtigen Platz in der Sicherung von Lebensqualität. Vielfach kommt es zu einer verstärkten Identifikation mit dem lokalen Umfeld.
Die Feuerwehren sehen darin seit jeher eine ihrer Aufgaben. Im März 1980 erklärte der damalige Landrat Dr. von Bismarck auf der Jahresversammlung des Kreisfeuerwehrverbandes Plön im Ferienzentrum Holm: „Die Feuerwehren sind ein Stück kommunaler Selbstverwaltung und einer der wesentlichen Kulturträger in unserem Land.“
In den ersten Gründungsjahren der Wehren im 2. Kaiserreich sah sich der Feuerwehrverein als Veranstalter interner Feierlichkeiten wie dem Stiftungsfest. Wie ein solches Fest gestaltet wurde, ist in einem vorhergehenden Kapitel beschrieben worden. Es war in damaliger Zeit Höhepunkt des „Festkalenders“ innerhalb der Dörfer und Gemeinden.
Die Wehren nahmen aber auch alle „patriotischen“ Gedenktage wahr, um ein Stück Geschichte, Kultur und die Verbundenheit mit dem jeweiligen Landesherrn, in Schleswig-Holstein waren es die Hohenzollern als Könige von Preußen, zu zeigen. Dabei dominierte die Symbolwelt militärischer Zeremonien.
In der „Schleswig-Holsteinischen Feuerwehrzeitung“ vom April 1897 wurde von einer von der Freiwilligen Feuerwehr Stolpe veranstalteten „Centennarfeier“ am 22. März 1897 zu Ehren Wilhelm I. (1871-1888) berichtet. Am Vormittag fand eine Schulfeier statt, der sich am späten Nachmittag ein von der Wehr inszenierter Fackelzug anschloß. Der Zug bewegte sich vom Spritzenhaus zunächst zum Schulhof, auf dem eine „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Eiche“ gepflanzt wurde. Danach zogen die Bürger zum Mühlenberg, von dort aus zur Depenauer Mühle, wo ein Feuerwerk veranstaltet wurde. Oberlehrer Zernotisky hielt eine Festrede, die mit einem Hoch auf den regierenden Kaiser Wilhelm II. (1888-1918) und dem Absingen der Nationalhymne endete. Ein Festkommers rundete den Feiertag ab.
Im Kaiserreich hatte sich die Tradition entwickelt, drei- bis viermal im Jahr der Gründung des Deutschen Reiches zu gedenken. Einmal am 18. Januar, dem Tag der Kaiserproklamation, sodann am 27. Januar bzw. 22. März (die Geburtstage Wilhelm II. und Wilhelm I.) und schließlich am 2. September, dem Tag von Sedan. So berichtet Johannes Hasse in seiner Festschrift über das Feuerlöschwesen der Stadt Plön, daß die Feuerwehr am 16. Januar 1896 „durch eine Festversammlung und Appell den Reigen zur Erinnerung an die Errichtung des deutschen Kaiserreiches vor 25 Jahren eröffnete (…).“
Als richtiges Volksfest wurde auf dem flachen Lande der Sedanstag gefeiert, an dessen Ausgestaltung die Feuerwehren mit Festumzug, Übungen, Musik und Feuerwerk aktiv beteiligt waren. Der Sedanstag erinnerte an die Schlacht um die Stadt und Festung Sedan im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, bei der die französischen Truppen kapitulierten und Napoleon III. in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Es war der Tag, an dem die Feuerwehr-, Gesangs-, Schützen- und Kriegervereine das öffentliche Geschehen im Dorf und der Gemeinde bestimmten, so daß die Bürger aktiv in die Feierlichkeiten einbezogen wurden.
Heute treten die Feuerwehren, wenn auch in einem anderen Sinne, als Veranstalter von Feiern im ländlichen Bereich auf. 1986 waren sie Initiatoren des von der Landesregierung im Jahr 1978 ins Leben gerufenen Schleswig-Holstein-Tages. Dazu schrieb der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes, Dr. W. Schmidt, in seinem Grußwort: „Warum kommt gerade diese große Organisation so vernehmbar zu Wort? Der Schleswig-Holstein-Tag will in erster Linie die Bürger selbst aufrufen und ansprechen, die vielen, die sich über die Tagesarbeit hinaus in Freiwilligkeit zu gemeinsamem Schaffen und auch zum Dienst für ihre Mitbürger zusammengefunden haben. Dieses Merkmal gilt in besonderer Weise für unsere Freiwilligen Feuerwehren…“
Im Kreis Plön boten die Wehren ein umfangreiches Programm. Genannt sei unter anderem das Kreismusikfest in Lütjenburg anläßlich des 25jährigen Bestehens des Spielmannszuges der Freiwilligen Feuerwehr Lütjenburg, die 700-Jahr-Feier der Gemeinde Fiefbergen (7. Juni), der Tag der offenen Tür in Verbindung mit dem Heimatmuseum Schönberg sowie die Fußgänger-Rallye der Freiwilligen Feuerwehren des Amtes Preetz-Land in der Gemeinde Kühren (Ortsteil Kührsdorf).
Zu den traditionsgemäßen Festen, die von den Feuerwehren veranstaltet werden, gehören in einigen Gemeinden die Kinderfeste. Sie fanden bis Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre im Rahmen des Schulalltags kurz vor Beginn der Sommerferien statt. Die Preise und Geschenke wurden aus Spenden der Gemeinde, der Vereine und von Privatleuten finanziert. Als einige kleinere Schulen geschlossen wurden, übernahmen die Feuerwehren die Aufgabe des Veranstalters. Aus diesem Grunde entschloß sich im Jahre 1969 die Freiwillige Feuerwehr Pohnsdorf, das Kinderfest unter ihrer Regie weiterzuführen. In den Gemeinden Honigsee, Kührsdorf, Barmissen, Kleinmeinsdorf, Selent, Prasdorf und Fargau, um nur einige zu erwähnen, sind die Wehren ebenfalls Träger des Kinderfestes.
Vielfach wird unter einem Kinderfest auch das traditionelle Kindervogelschießen verstanden, das zunächst ebenfalls von den Schulen ausgerichtet wurde (z. B. in Sasel, Wendtorf, wo es erstmalig 1882 in der Schulchronik erwähnt wird).
In Warnau wurde ab 1969 das Vogelschießen von der Wehr übernommen, das durch die Ermittlung von Schützenkönig/in der Erwachsenen ergänzt wurde. Weitere Wehren, die das Vogelschießen organisieren, sind unter anderem die Freiwilligen Feuerwehren von Boksee, Barsbek und Pratjau.
Das Vogelschießen beruht vermutlich auf einem alten heidnischen Brauch zur Erhaltung der Fruchtbarkeit und zur Abwehr von Gefahren. Zunächst diente eine Scheibe, die die Sonne symbolisierte, als Zielobjekt. Sie wurde später von einer Taube ersetzt, die erschossen werden mußte, da sie vom Winter entkräftet war. Durch ihre Wiederauferstehung als Taube oder in menschlicher Gestalt -- dem Schützenkönig -- verhalf sie dem Frühling zum Durchbruch. Dem Schützenkönig hängte man daher einen Vogel an einer Kette um den Hals.
Seit dem 13./14. Jahrhundert schießt man auf einen stilisierten Vogel aus Holz, später aus Metall. In der frühen Neuzeit waren es besonders die Gilden, die als Veranstalter des Vogelschießens auftraten. In Plön wurde daraus ein großes Volksfest, das der jeweilige Herzog mit seinen Bürgern feierte. Als Indiz dient uns dafür eine Amtsrechnung aus dem Jahre 1684/85. „1 Rtl 24 ß (Schillinge) vor 1 Ton Bier, so bey Aufrichten der Vogelstangen ausgetrunken. 5 Rtl. vor ein silbern Schild, so ihr Fürstl. Durchl. an Schützengilden gegeben, weil sie verwichen Jahr sind König gewesen. 1 Rtl. vor die Vogelstange anzustreichen.“
Knapp fünfzig Jahre später ließ Herzog Friedrich Carl anläßlich des Vogelschießens den Festplatz herrichten. Er wurde 1731 Schützenkönig und zwanzig Jahre später wohl noch ein weiteres Mal. Die Feuerwehren führten und führen demzufolge mit dem Vogelschießen eine alte Tradition fort, deren kulturhistorische Bedeutung aus den vorhergehenden Ausführungen ersichtlich wird. Ähnliches gilt für das von den Feuerwehren veranstaltete Ringreiten. Es gehört unter anderem zu Veranstaltungen der Feuerwehren in Gadendorf und Bönebüttel. Das Ringreiten geht auf das antike Quintanastechen zurück, wobei die Reiter im Schlagen oder Stechen nach einem Übungspfahl geschult wurden.
Im höfischen Mittelalter gehörte das Quintanastechen zu den ritterlichen Turnierübungen. Es entwickelte sich daraus das erschwerte Zielreiten mit der Lanze, das zunächst nur bevorzugtes Reiterspiel des Adels wie des Patriziats in Europa war und schließlich auch in der bäuerlichen Bevölkerung Anklang fand. Am Hofe der Gottorfer Herzöge und dänischen Könige war es zwischen 1500 und 1600 sehr beliebt.
Seit dem 17. Jahrhundert treten schriftliche Belege für das Ringreiten auf, die vor allem aus dem Dithmarscher Raum stammen. Otto Mensing schreibt, daß das Ringreiten „früher allgemeines Volksfest für Jung und Alt“ war, an dem auch die Bauernsöhne beteiligt waren. Später (etwa um die Jahrhundertwende) blieben das Gesinde und die einfachen Dorfbewohner unter sich.
Einer Anzeige aus dem „Plöner Wochenblatt“ vom 15. Juli 1876 entnehmen wir, daß sich am Ringreiten in Plön nur die jungen Bauern beteiligen durften; die Dienstboten und Knechte waren ausgeschlossen. „Sonntag, den 16. Juli zur „Hintersten Wache” in Plön Ringreiten für junge Landwirthe, verbunden mit Kranzgreifen für junge Damen. Abends Ball. Um frdl. Betheiligung ersucht das Comité. NB. jeglichen Dienstboten ist die Beteiligung untersagt.“
Heute spielt das Ringreiten nur noch im ländlichen Gebiet eine Rolle. Der Reiter benutzt ein Stechgerät mit einer relativ kurzen Spitze und langem Griff. Er zielt im vollen Trab nach dem an einem ca. 4 m langen Seil hängenden Ring, wobei Wendigkeit und Geschick gefragt sind. In der Gemeinde Husberg findet das Ringreiten in abgewandelter Form als Ringstechen mit dem Traktor oder Frontlader statt.
Ein weiterer in Holstein verbreiteter Brauch ist die Fastnacht, oder wie es auch in der Probstei genannt wird, der „Fastelabend“, der zumindest im Zweiten Weltkrieg z. B. von der Feuerwehr Stakendorf im Dorfkrug gefeiert wurde. Der „Fastelabend“ wurde immer am Freitag oder Sonnabend der letzten Januarwoche gefeiert. Als Mittagessen gab es überall Mehlbeutel, auch als „Groten Hans“ bekannt, mit gequollenen Backpflaumen oder eingemachten Kirschen. Die Schulen wurden schon gegen 11 Uhr geschlossen, damit die Kinder an dem Festessen teilnehmen konnten. Am Abend trafen sich die Erwachsenen dann zum Tanz in der Dorfgaststätte.
Ein Höhepunkt für die Kinder ist neben dem jährlichen Kinderfest das von den Feuerwehren veranstaltete Laternelaufen (z. B. in Pülsen, Barsbek, Klamp, Gadendorf, Tökendorf, Wisch etc.). Die frühesten Belege, die uns über das Laternelaufen vorliegen, stammen erst aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Brauch dürfte ursprünglich im Zusammenhang mit dem Beginn der Lichtarbeit stehen. Da das Arbeiten bei künstlichem Licht und die früh einsetzende Dämmerung vermutlich als unangenehm empfunden wurde, mußte wenigstens der Beginn dieser Zeit freundlich begonnen werden. Als Termine galten früher der Lambertitag (17. August) oder Michaelis (29. September), wobei der heilige Lambertus von Maastricht schon durch seine Legende als Lichtträger ausgewiesen ist. Heute liegen die Termine individuell zwischen Ende August und Mitte Oktober. Der Wandel von einer ursprünglichen Erwachsenenveranstaltung zu einem auch für Kinder ist bisher nicht geklärt.
Die kulturelle Bedeutung der Musik- und Spielmannszüge ist schon an anderer Stelle erwähnt worden. Sie stellen seit den Gründungsjahren der Feuerwehren ein Stück Kultur im ländlichen Bereich dar.
Die Feuerwehr gestaltet nicht nur jährlich die Dorffeste, sondern beteiligt sich an den Jubiläumsfeiern der Gemeinden. Mit ihrem Beitrag zeigen sie, wie sehr sie in das Leben in der Gemeinde integriert sind. lm Oktober/November 1978 übernahmen die Feuerwehr und Neuheikendorfer Gilde die Vorbereitungen für die 500-Jahr-Feier Neu-Heikendorfs. Am 28. Oktober eröffnete die Feuerwehr die Festtage mit einem Fackelzug und dem Feuerwehrball.
Auf dem Festkommers am 4. November wurde dem Bürgermeister als Geschenk eine silberne Kette der ortsansässigen Handwerkerschaft und der Feuerwehr verliehen. Die kulturelle Arbeit der Feuerwehren besitzen im ländlichen Bereich eine nicht zu unterschätzende Bedeutung; denn sie sind es, die oftmals allein im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ein kultu relles Angebot Sorge tragen.